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Schubumkehr

In einer äsopschen Fabel begab es sich, dass eine Maus über den Schweif eines Löwen stolperte. Dieser wachte auf und war ziemlich sauer, glücklicherweise aber erwachte er aus einem Verdauungsschläfchen, ließ die Maus nach ein paar Drohungen wieder gehen und lachte noch herzhaft über die Bemerkung der Maus, sich ja vielleicht eines Tages revanchieren zu können, weil der Löwe sie nicht spasshalber verputzt oder getötet hat. Tatsächlich landete der Löwe eines Tages in einer Falle, baumelte hilflos im Netz und wartete nur noch darauf, das Fell über die Ohren gezogen zu bekommen. Da erschien die Maus, die mit ihren scharfen Zähnen Masche für Masche durch knabberte, bis der Löwe erschöpft, aber gesund aus dem Netz purzelte. Er bedankte sich höflich, und beide zogen zufrieden ihrer Wege. Die Menschheit sollte eigentlich über dieses grundsätzliche Recht des Stärkeren und seiner Arroganz Schwächeren gegenüber längst hinweg sein, denkt sich ein Einfaltspinsel, blättert wieder und wieder ungläubig in Zeitungen und staunt über das im Fernsehen gezeigte Tagesgeschehen. Es ist nicht der Wunsch, Starke in einer Rolle der Hilflosigkeit sehen zu wollen, ganz und gar nicht. Es ist der Wunsch, Schwache und Hilfsbedürftige gestärkt wahrzunehmen, und nicht nur das: Es geht vor allem darum, solche Menschen als Potential zu erkennen. Ein nicht strafmündiger Jugendlicher, der eine fürchterliche Kindheit noch nicht einmal hinter sich hat, wird in einem Gefängnis vergewaltigt. Eine Entwicklungsverzögerung wird festgestellt, für Raub- und Eigentumsdelikte wird er dennoch bedingt verurteilt. Abschließender Kommentar der Richterin: Sie hoffe, dass er sein Leben in den Griff bekomme und dass es sie frustriere, dass er so gar keine Vorstellung habe, was er machen wolle. Noch frustrierender erscheint, dass Personen in solchen Positionen sitzen, die offenbar noch viel weniger Vorstellung haben, wie fürchterlich beschissen – was anderes fällt mir dazu nicht ein - Lebensgeschichten sein können, zu deren „Schlagobershäubchen“ wie einer Vergewaltigung dieser Jugendliche noch dazu in Gewahrsam der Justiz gelangt ist, Obhut ist nicht der richtige Begriff. Zynischer kann eine Verhandlung nicht abgeschlossen werden. Einem Löwen gegenüber wird so eine abschließende Unglaublichkeit nicht ausgesprochen, und weil er offensichtlich so brav war - ist doch genug Geld woher auch immer vorhanden - und eine Vorstellung hat, was er weiterhin machen will, wird er seine Fussfesseln zwei Monate früher zurückgeben dürfen. Nebenbei wird ihm zu Ehren gehalten, dass er die direkte Schadensumme für ein paar nachweislich mit nicht sehr aufschlussreichen „Expertisen“ bedruckten Blättern Papier von sechs Millionen Euro, die ursprünglich gar zwölf hätten sein sollen, angeblich zurückgezahlt hat oder dies vorhat zu tun. Die hätten eigentlich, laut eigenen Angaben, unter ein paar Leuten aufgeteilt werden sollen, die jetzt teilweise verurteilt oder tot sind. Die indirekte Schadenssumme, in die dieser Mann involviert ist, schwankt, es werden aber bis zu 19 Milliarden Euro genannt, die allerdings vom Steuerzahler zurück geblecht werden müssen. Interessanter Vergleich: Für ein paar Eigentumsdelikte und Raub, deren Schaden nicht einmal zu beziffern ist, eines Minderjährigen mit nachgewiesener Entwicklungsverzögerung aus katastrophalen sozialen Verhältnissen zwei Monate bedingte Haft, für Untreue und sonstiges mit einer direkten Schadensumme von 6 Millionen Euro, im Zusammenhang mit einem Schaden von irgendwo zwischen 12 und 19 Milliarden 4 Monate. Das ist durchaus kein Vergleich von Äpfeln und Birnen, das Verhältnis scheint aus den Fugen geraten. Es wird vergessen, dass nicht nur dieser Jugendliche eine humanitär reife Gesellschaft braucht, die ihm ermöglicht, ein würdiges Leben zu führen, sondern diese Gesellschaft diesen Jugendlichen einmal brauchen könnte. Bezeichnend, dass dieser, so er den Weg in ein eigenständiges Leben finden kann, einmal die Pensionen mitfinanzieren wird für jene, die Schäden in Milliardenhöhe angerichtet haben und immer noch anrichten.

Um diese 19 Milliarden Euro haben Architekturstudierende eine ganze Stadt für über 100.000 Menschen geplant, genannt Hypotopia, um einmal vor Augen zu führen, wie viel Geld da tatsächlich versemmelt wurde. Diese Stadt ist im Übrigen weitgehend als autofreie Stadt konzipiert worden. Im Verkehr herrscht nämlich ebenso nach wie vor unverändert das Recht des Stärkeren. Gerade hat ein Autofahrerclub eine Aktion namens „Sehen und gesehen werden“ ins Leben gerufen. Hier wird allen Ernstes festgestellt, dass viele Fussgeher zu dunkel gekleidet wären. Ein besonders kluger und offenbar im Auto wohnender Poster hat diesen Artikel mit der Weisheit ergänzt, dass auch von Fussgehern wenigstens ein bisschen Vernunft zu erwarten ist. Beobachtet und erlebt man das Aufwachsen eines Kindes, kann man feststellen, dass die Bewegung im öffentlichen Raum von Beginn an eine Verteidigungshaltung erfordert, zuerst für Eltern mit Kinder- und Sitzwägen im öffentlichen Raum. Können Kinder gehen, beginnt ihre Abrichtung für die Verkehrstauglichkeit. Für die Sicherheit müssen nämlich in erster Linie die schwachen Verkehrsteilnehmer sorgen. Es herrscht Krieg. Während Soldaten sich tarnen müssen, um vom Feind nicht gesehen zu werden, müssen Kinder adjustiert werden wie Papageien und bei Dunkelheit wie Weihnachtsbäume, um wahrgenommen zu werden. Und das sollen bitte sowieso alle Menschen tun: Sich dekorieren wie ein Schaufenster, um nicht überfahren zu werden. Das private Recht auf individuelle Bekleidung aufgeben, weil ein paar Unvernünftige da draussen ihre ein bis zwei Tonnen schweren Fahrzeuge mit Scheinwerfern mit einem Tempo bewegen, das möglicherweise zu hoch sein könnte, um rechtzeitig vor anderen Verkehrsteilnehmern stehenzubleiben? Genau so sollte es sein. Obwohl sich Fussgeher auf den mitunter engen Gehsteigen ohnehin auf einen Bruchteil der Verkehrszonen reduzieren und Schutzwege ohnehin mehr als deutlich sichtbar markiert sind. Fussgeher haben außerdem ohnehin ein Grundquantum Vernunft, nämlich indem sie sich bewegen und gleichzeitig umweltfreundlich unterwegs sind, was man von einem Auto definitiv gar nicht behaupten kann. Ich kenne einen Fahrradboten, der von einem viel zu schnellen Auto abgeschossen wurde. Mit viel Glück wurde er nur leicht verletzt, er hat mit seinem Körper zumindest die Windschutzscheibe eingedrückt, man kann sich also die Wucht vorstellen. Der Autofahrer hat aus dem Hut einen Zeugen gezaubert, der ebenso behauptete, der Fahrradbote wäre selbst schuld an diesem Unfall, die unglaubliche Länge der Bremsspuren: Egal. Laut Gutachten war das Fahrzeug mit mindestens 70 km/h unterwegs. Der Autofahrer wurde also freigesprochen, doch damit nicht genug. Im Anschluss reichte er Gegenklage ein wegen Sachbeschädigung für die kaputte Windschutzscheibe. Wie der Prozess ausgegangen ist, ist mir leider nicht bekannt. Allein die Tatsache dieser Gegenklage ist aber nicht nachvollziehbar und erklärt die uneingeschränkte Vorherrschaft des Autoverkehrs in jeglicher Hinsicht und in unangenehm vielen Köpfen.

Die momentan an der Macht sitzende Generation begreift offenbar noch weniger als alle Generationen zuvor. Waren früher Wohlstandsdiskussionen nachvollziehbar, weil es sich um eine Generation handelte, die den Krieg noch erlebt hat, gibt es im Moment absolut keine Argumente, warum ein vermeintlicher Wohlstand um jeden Preis aufrecht erhalten wird auf Kosten der Umwelt: Es muss hinlänglich bekannt sein, dass die Zerstörung der Umwelt auch den Wohlstand nicht nur nicht aufrecht wird erhalten können, sondern ganz im Gegenteil nachhaltig sukzessiv in seine Einzelteile zerlegt, aber Fairness, Ökologie und Gesundheit zählen da offenbar nicht dazu. Es gibt anscheinend kein richtig ernsthaftes Problem, um aus vollkommen lächerlichen riesige zu machen und die tatsächlichen auszublenden, als wären sie gar nicht da. Es ist allerhöchste Zeit für eine Schubumkehr. Diese Generation ist genau zu jener geworden, über die sie vor ein paar Jahren noch geschimpft hat wie ein Rohrspatz. Nur schneiden sich da ein paar Löwen ganz kräftig ins eigene Fleisch: Wenn nämlich auf dieser Welt alles kaputt ist, gibt es auch für noch so viel Geld keinen Plan B zu kaufen, nirgendwo. Da sitzen alle im selben Boot. Wie freundlich in diesen Booten die mitfahrenden Mäuse zu den Damen und Herren Löwen sein werden, ist fraglich, wenn sie vorher entsprechend überheblich behandelt worden sind. Da sind wir nämlich nicht in einer Fabel, sondern im echten Leben, in dem Menschen nicht geholfen, Menschen ausgegrenzt und schlecht behandelt und eine Mehrklassengesellschaft einfach aus Gier und Bequemlichkeit hergestellt wurden. Die Mäuse sind übrigens zahlreich und werden sich ziemlich sicher daran erinnern können.
 
(c) Bild. Project Gutenberg etext 19994 - commons.wikimedia.org/wiki/File:The_Lion_and_the_Mouse_-_Project_Gutenberg_etext_19994.jpg>...




[Artikel/Walter Schaidinger/24.11.2014]





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